Mit Händen und Füßen

Unsere Hände sind Arbeitstiere: Wenigstens acht Stunden am Tag beschäftigen sie sich vor allem mit Papier, Hartplaste-Tastatur und Smartphonedisplay. Sie umklammern Telefonhörer aus Kunststoff und liegen ordentlich gefaltet auf Resopaltischplatten herum. Viel fühlen tun sie dabei nicht, und daran haben sie sich ausgesprochen gut gewöhnt. Das ist uns bei einem spontanen Fotoshooting zum Thema „Wasser- und Waldgeister“ klargeworden.

„Ihhh!“, ist die erste Reaktion, als die Finger in den modderigen Bachlauf eintauchen. Wir brauchen Fotos, diesmal sind die Hände dran – und schnell wird klar, dass wir uns die letzte Maniküre hätten sparen können. Eine Investition in Gummihandschuhe wären sinnvoller gewesen…

Wald4„Fass´ da mal richtig rein“, verlangt der Fotograf (dessen eigene Finger nichts anderes anfassen müssen als den Auslöser). Im ersten Moment ist der Bach gleichzeitig glatt, glitschig, scharfkantig, kalt und nass. Es dauert ein paar Sekunden, bis sich die Gesamtsituation auseinanderdividiert: Ein eckiger Stein, weiche Algen. Wasser. Modrige Zweige. Von einigen Sachen, die wir da in die Finger bekommen, wollen wir erst mal gar nicht wissen, was sie sind. Die Hände schicken trotzdem Bilder, und nach drei oder vier Versuchen sind wir bereit, ihnen zu trauen: Wir „sehen“ unter Wasser. Nein, eigentlich „begreifen“ wir, und vor Dingen, die man begriffen hat – das wissen wir noch aus der Zeit der Mathearbeiten – fürchtet man sich nicht. Am Ende macht es sogar Spaß, mit den Fingern nach Entengrütze zu fischen.

Wald1Später stellen wir fest, dass wir auch mit den Füßen sehen können. In unseren Schuhen sind sie blind, aber als wir sie ausziehen und barfuß laufen, die Zehen dekorativ ins Wasser halten und über einen Baumstamm balancieren, gehen sie auf Sendung und beschreiben uns den gefühlten Unterschied zwischen Moos und Borke, Klee und Gras so detailgetreu, dass wir die Augen auch zumachen könnten. Wäre da nicht diese Nacktschnecke gewesen, wir hätten es bestimmt gewagt.

Zurück im Büro liegen die Hände wieder auf der Resopaltischplatte und langweilen sich. Die Bilder sind gut geworden, aber noch besser haben uns die gefallen, die nicht wir, sondern unsere Hände und Füße gemacht haben. Sie haben mehr gesehen, als eine Kamera aufzeichnen kann.

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Der Wald ruft

Man muss zugeben: Es gab Zeiten, da haben wir den Wald mehr geliebt. Räuber-Zeiten zum Beispiel, in denen er Kulisse für wilde Spiele war. Später heimliche Zeiten, als die große Liebe noch nicht mit nach Hause kommen durfte. Und noch später noch heimlichere Zeiten, in denen die Nächte lang und warm waren und nach billigem Rotwein dufteten.

Kurzum: Es gab Zeiten, da hatte man Grund, in den Wald zu gehen. Dann kamen andere Zeiten, in denen es dafür eigentlich keinen Grund mehr gab außer vielleicht frischer Luft. Aber die ist bequemer auf dem Balkon zu haben. Von vielen Hamelner Balkons aus ist der Wald ja außerdem auch gut zu sehen. Von Ferne. Ohne dass man sich auf den Weg machen müsste und das womöglich noch bergauf. Der Wald wurde blass und irgendwie bedeutungslos, etwas, das da – und theoretisch auch gut – war, aber in unserem Alltag keinen praktischen Zweck mehr erfüllte.174

Nun sind noch einmal neue Zeiten angebrochen. Seit einigen Monaten gibt es plötzlich wieder gute Gründe für den Wald: Er ist der perfekte Ort für ViaSaga-Fotoshootings und -Videodrehs. Nirgendwo steht die Zeit so schön still wie zwischen Bäumen. Hier gibt es keine Häuser, Hochspannungsleitungen und asphaltierte Straßen, die verraten, wann wir uns befinden. Hier kann alles irgendwann vor langer Zeit gewesen sein.

In der Teufelsküche am Ith könnten die Hamelner Kinder soeben erst verschwunden sein, und ob die beiden Geschwister, die im Film von „Brüderchen und Schwesterchen“ Hand in Hand durch raschelndes Laub laufen, Fünfzehnhundertirgendwas oder doch im profanen 2016 unterwegs waren, darüber schweigt der Wald. Auch über das Wo verrät er nicht viel, wenn die Bäume nur dicht genug stehen. Irgendwann & Irgendwo ist das Zuhause aller Märchen, die im Gegensatz zur Sage nicht an Zeit und Ort gebunden sind. Und tatsächlich ist es so, dass man sich nirgendwo so leicht in einer Geschichte wiederfindet wie da, wo es keinen menschgemachten Rahmen aus Stein und Metall dafür gibt.

Wir hatten also wirklich gute Gründe, um wieder in den Wald zu gehen – und mit den Gründen kehrte die alte Liebe zurück. Zuerst spürten wir sie nur mit Verzögerung, beim Betrachten der fertigen Aufnahmen oder beim Schneiden der Videoclips. Wirklich hübsch, dieser Wald, wie er da so grün und ehrwürdig im Hintergrund steht… Beim zweiten oder dritten Shooting im Unterholz erwischten wir uns dann dabei, wie wir vorsichtig die Hand ins Moos oder den Kopf in den Nacken legten, um das Licht durchs Laub tanzen zu sehen.

Und als wir irgendwann völlig außer Atem den Aufstieg zum Hohenstein hinter uns gebracht hatten und der Blick über bewaldete Berge und Täler schweifte, vergaßen wir für einen Moment die Kamera in unserer Hand und das Model vor der Linse. Wir hörten die Blätter rauschen und die Vögel zwitscherten wie damals, als wir noch Hotzenplotz waren. Derselbe Duft, der uns den ersten Kuss versüßt hat, hing wieder in der Luft, und als die Sonne irgendwann unterging, schmeckte das Wasser in unserer Trinkflasche ein bisschen nach saurem Wein.

Wir halten fest: Der Wald ist ein magischer Ort, der ohne Hokuspokus auskommt. Es kann keinen besseren Grund geben, um mal wieder raus ins Grüne zu gehen. Mit oder ohne Kamera…

Hier geht´s zum Dewezet-Themendossier „Unser Wald“

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Ode an den Umhang

Harry Potter hatte einen. Nibelungenheld Siegfried ebenfalls. Und in Märchen wie „Die zertanzten Schuhe“ oder „Die Zwergenhütchen“ spielt er eine wichtige Rolle: Der magische Umhang, der seinen Träger unsichtbar macht. Was nur die wenigstens wissen: Jeder Umhang ist magisch. Wer das nicht glaubt, hat noch nie einen getragen – und sollte es unbedingt ausprobieren. So wie wir…

OB2Unsichtbar wird man davon freilich nicht, aber man wird ein anderer. Sofort steht man ein klein wenig aufrechter da als gewöhnlich und fühlt sich… geschützt und sicher. Wenn Leute da sind, gucken sie eventuell etwas komisch (ist schließlich kein 08/15-Kleidungsstück), aber unter dem Umhang ist das egal, vor allem, wenn er eine Kapuze hat. Die Leute gucken nämlich den Umhang komisch an und nicht uns. Insofern sind wir jetzt doch ein bisschen unsichtbar.

Das macht mutig. Wir trauen uns plötzlich, grimmig zu gucken, würdevoll dahin zu schreiten oder durch die Gassen zu hüpfen. Eine halbe Drehung, der Umhang schwingt. Wir stellen uns vor, wie das aussieht, und wissen: großartig! Umhänge sind elegant und rustikal zugleich. Wir vergessen die alten Jeans und die Turnschuhe, die wir darunter tragen. Die Zeit vergessen wir auch. Es ist Punkt Mittelalter irgendwo in Gondor – und wir sind Waldläufer, Orks oder Prinzessinnen. Wir erinnern uns daran, wie es sich anfühlt, zu Fuß nach Mordor zu laufen, oder die Tore von Winterfell zu passieren. Auf einem Pferd, das wir nie besessen haben. Mehr als einen Umhang und etwas Phantasie brauchen wir dafür nicht.

Im Gegenteil: Anders als ein komplettes Kostüm lässt der Umhang Platz für ganz verschiedene Ideen. Er ist ein Formwandler, ohne selbst die Form zu wandeln. Er verwandelt das, was drunter ist, und das ist das Entscheidende :-). Am liebsten würden wir ihn nie wieder ausziehen und mal gucken, was der Chef dazu sagt oder die Freundin. Manches ist eben einfacher, wenn man dabei ein bisschen jemand anders ist…

Gelegenheit, ganz offiziell einen Umhang zu tragen: Mystica Hamelon

Einen Umhang selber nähen

Einen Umhang kaufen

 

 

Unterwegs auf der Märchenstraße III

Unser dritter und vorerst letzter Drehtag auf der Deutschen Märchenstraße beginnt tatsächlich in märchenhafter Atmosphäre. Morgens um halb sieben im Urwald… Genauer: Zwischen den bemoosten Baumriesen im ältesten Naturschutzgebiet Hessens, dem „Urwald Sababurg„. Wir sind 100 Kilometer von Hameln entfernt – und haben das Gefühl, (mindestens) 100 Jahre in die Zeit zurückgereist zu sein. Natur, Bäume und Stille, mehr scheint es in dieser Welt nicht zu geben.

Fast ein bisschen beschämt stellen wir unsere Scheinwerfer auf, beginnen zu drehen und schwören uns, dass wir eines Tages wiederkommen werden, um diesen Wald mit der Ruhe zu genießen, die er verdient hat. Und um das Dornröschenschloss Sababurg zu besuchen, wenn die Rosen blühen. Für den ViaSaga-Trailer ist die winterliche Stimmung zwischen den alten Mauern allerdings perfekt, schließlich hat in unserem Film ausnahmsweise nicht die strahlende Prinzessin das Wort, sondern die finstere 13. Fee.

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Die Sababurg bei Nacht.

Wir drehen, bis die Sonne untergeht. Irgendwann sind wir allein auf der Burg. In der Dunkelheit. Mit den Gedanken tief eingetaucht in eine andere Welt. Und plötzlich hören wir sie. Erst einen, dann immer mehr: Wölfe…

Wir wissen, dass ihr Heulen aus dem nahegelegenen Wildpark zu uns heraufschallt.

Eine Gänsehaut bekommen wir trotzdem.

Alle Bilder in diesem Beitrag (2): (c) Familie Koseck, Dornröschenschloss Sababurg

Unterwegs auf der Märchenstraße II

Dunkler gehts nicht. Und enger kaum noch… Gebückt erkunden wir das historische Kupfererzbergwerk in Bergfreiheit. Der kleine 400-Seelen-Ort an der Deutschen Märchenstraße trägt nicht umsonst den Titel „Schneewittchendorf“. Irgendwann einmal muss es hier Zwerge gegeben haben, denn anders sind die Dimensionen der unterirdischen Stollen kaum zu erklären.

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Blick ins Kupferbergwerk Bertsch

Kamera und Kostüme bekommen ihr Fett weg, und als wir nach Abschluss der Dreharbeiten endlich ans Tageslicht zurückkehren, sehen wir selbst ein bisschen wie abgekämpfte Kumpel aus. Hunger haben wir jetzt für sieben Zwerge PLUS einem ausgewachsenen Schneewittchen. Zurück im Hotel müssen wir jedoch mit Schrecken feststellen, dass die Küche bereits geschlossen ist. Wir machen es uns auf dem Bett so gemütlich wie möglich und verspeisen den restlichen Reiseproviant. Ganz zum Schluss bleibt noch der rote Apfel übrig, den wir als Requisite mitgenommen haben.

Ein kurzes Zögern – und wir beißen todesmutig hinein. Zur Not muss uns morgen früh dann eben ein Prinz wachküssen…

 

Unterwegs auf der Märchenstraße

Nun ist es also tatsächlich soweit: Wir sind unterwegs. Zum ersten Mal unterwegs auf der Deutschen Märchenstraße, die sich von Bremerhaven bis Hanau erstreckt. Von der Rattenfängerstadt Hameln aus starten wir zum dreitägigen Dreh unseres VisaSaga-Trailers. Mit dabei: Die 13. Fee, der Wolf, die böse Hexe, der Rattenfänger und andere finstere Gesellen, die uns ihre Sicht der Dinge erzählen werden. Wie war das damals mit dem vergifteten Apfel? Hat Rotkäppchen sehr geweint, bevor es gefressen wurde? Und die entführten Hamelner Kinder: Was ist aus ihnen geworden?

Videojournalistin Nina Reckemeyer und Dewezet-Projektmanagerin Claudia Bubat haben einen Kleinbus voller Requisiten gepackt. Vom Becherlein bis zur hölzernen Wiege darf nichts fehlen, wenn es dunkel wird im Wald und die düsteren Sagengestalten am Herdfeuer zusammenrücken, um ihre Geschichten zu erzählen. Denn die leben von einer ganz besonderen Stimmung, in der alte Zeiten, mystische Figuren und Natur zu einer zauberhaften Einheit verschmelzen.

vlcsnap-2016-01-27-19h24m39s258Genau diese Atmosphäre wollen wir einfangen: Nicht den Zuckerguss, der sich im Lauf von Jahrhunderten über so manchem Märchen gebildet hat, sondern die rauhen, geheimnisvollen und beunruhigenden Seiten. Sagen sind kein Kinderkram. Das wird jedes Kind bestätigen, das nach dem Erzählen schon einmal wach im Bett gelegen und Schatten an den Wänden beobachtet hat.

Auf dem Weg zum Schloss Friedrichstein in Bad Wildungen, unserem ersten Drehort, fühlen wir uns selbst ein bisschen wie Abenteurer aus einer anderen Zeit. Wir haben einen Plan – aber keine Ahnung, was uns wirklich erwartet.